1891 – 1894 Paul Ringier

Bericht über das religiöse, kirchliche und sittliche Leben der bernischen Landeskirche in den Jahren 1890 – 1894. Im Namen des evangelisch-reformirten Synodalrathes erstattet durch P. Ringier, Pfarrer in Kirchdorf, 95 Seiten.

Der fünfte der Vierjahresberichte, wiederum dank einem Inhaltsverzeichnis übersichtlich gestaltet, betrachtet die ganze Berichterstattung als eine Art geistiger Bilanz, die uns zeigen soll, was unsere Gemeinden im Vermögen haben und was nicht, wobei unter Vermögen nach dem damaligen Sprachgebrauch nicht die Finanzen gemeint sind, sondern was die Gemeinden zu tun im Stande sind.

Eingegangen sind als Grundlage zur Gesamtberichterstattung 200 Pfarrberichte aus den Gemeinden. Erstmals wird hier die Äusserung getan, es sei die vierjährige Berichtsperiode zu kurz. Vier Jahre fallen im Leben des Einzelnen ins Gewicht, sind aber für ein Volk, oder einen Volksteil, eine Gemeinde doch ein zu kurzer Zeitraum. Später wird man auf den Jahrzehntbericht übergehen.

Weil sich auch dieser Bericht sehr eng ans Frageschema des Synodalrates hält, ist man nicht überrascht, die gleichen Themen abgehandelt zu bekommen wie in den bisherigen Berichten auch schon. Es ist deshalb angebracht, für einmal die Aufmerksamkeit denjenigen Bemerkungen und Ereignissen zuzuwenden, die man als Besonderheiten bezeichnen kann.

In der Beschreibung des religiösen Lebens klingt neben allen Ausführungen über Unglauben, Fatalismus, Aberglaube, Spiritismus, Materialismus, Pessimismus und Indifferenz doch auch der Gedanke an, dass der Glaube immer eine äussere und eine innere Seite hat und man deshalb sehr zurückhaltend zu sein hat, vom Äusseren aufs Innere zu schliessen. Äusserlich lässt sich durchaus viel Gleichgültigkeit feststellen, deswegen aber wäre es dennoch nicht angebracht, einem Menschen den Glauben absprechen zu wollen, da dieser innerlich im Menschen wohnt.

Umgekehrt gibt es dann aber auch äussere Ereignisse, die sehr stark auf den inneren Menschen einwirken, so die Brandkatastrophen von Meiringen, Grindelwald und St. Stephan oder die Trockenperiode im Jahre 1893.

Für das kirchliche Leben macht der Bericht aufmerksam auf zwei Gefahren. Die eine kommt von aussen, d.h. von den Sekten her, die andere von innen und besteht im mangelnden Gemeinschaftsbewusstsein in der Kirche. Weder die eine noch die andere Gefahr stellt allerdings in Frage, dass nach wie vor die kirchliche Tätigkeit in der Bevölkerung sehr breit verankert ist, und da wird dann auch wieder aufgezählt, was alles geht und steht Land auf Land ab: Gottesdienst, Gottesdienstbesuch, Unterweisung, kirchliche Liebestätigkeit, und speziell dürfen erwähnt werden: Dank dem neuen Kirchengesangbuch die rege besuchten Organistenkurse und in Bezug auf die Seelsorge die Pastoration der Spitäler, Anstalten und Gefängnisse.

Das sittliche Leben hat seine Lichtseiten und Schattenseiten. Da wird nach der Aufzählung von Verbrechen, Kiltgang, Alkoholismus, Wirtshaushocken, unehelicher Geburten und zunehmender Armut ausdrücklich begrüsst, was von Seiten der Gemeinden zur Verbesserung vorgeschlagen wird: Strengere Handhabung des Sonntags- und Wirtschaftsgesetzes, das Zusammenwirken von Staat und Kirche zum besten unseres Volkes nach Leib und Seele, die Vereinheitlichung des Schweizerischen Strafrechts, die Ausstattung des Kirchgemeinderates mit gesetzlichen Kompetenzen, wenn er schon in seinen Funktionen als sittliche Aufsichtsbehörde nicht gehemmt und geniert werden soll, der Kampf zahlreicher Vereine gegen den Alkoholismus sowie soziale Reformen zur Besserstellung der unteren Volksklassen.

Im Anhang zum Bericht werden wiederum die Kirchenbehörden aufgeführt: Die Mitglieder der Kirchensynode, das Synodebüro, der Synodalrat und die Evangelische Prüfungskommission. Ganz am Schluss steht auch hier die kirchliche Statistik.

Der Verfasser dieses Berichtes, Paul Ringier, was Pfarrer in Kirchdorf, Synodeabgeordneter und Mitglied des Synodalrates seit November 1893.