Altersarbeit "Mitgestalten statt mithelfen"

Noch nie haben so viele Frauen und Männer bei so guten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Bedingungen so lange gelebt wie heute – und die Altersarbeit wandelt sich. Ein Gespräch mit Esther Enderli, Beauftragte für Alter und Generationen seit 1997.

Aus Sicht der Altersarbeit beginnt die Dekade vorzeitig mit einem Paukenschlag: 1999 ruft die UNO das "Jahr der älteren Menschen" aus, das in der Schweiz unter dem Motto "Alle Generationen – eine Gesellschaft" steht. Die Wirkung ist nachhaltig: Alters- und Generationenfragen werden nunmehr von der (gerontologischen) Forschung forciert, von den Medien aufgenommen und von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert werden.

Die reformierte Landeskirche Bern ist mit der Fachstelle "Alter und Generationen" früh am Ball, und Stellenleiterin Esther Enderli übernimmt die spannende Aufgabe, relevante Forschungsresultate für die kirchliche Altersarbeit zugänglich und anwendbar zu machen. Mit Kursen und Tagungen unterstützt sie kirchliche Angestellte bei der Weiterentwicklung der Altersarbeit. Wichtige Grundlage dieser Neuorientierung ist das sogenannte Kompetenz-Modell: Nicht mehr Einschränkungen und Defizite des Zielpublikums stehen im Fokus, vielmehr werden ältere Frauen und Männer mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen wahrgenommen und zum Beispiel in ihren Bestrebungen nach (mehr) gesellschaftlicher Teilhabe und Teilnahme unterstützt. Früh versucht sie auch, kirchliche Angestellte für die Zusammenarbeit mit einer neuen Generation von Freiwilligen zu sensibilisieren. Noch heute beantwortet Esther Enderli die häufig gestellte Frage, wie die Kirche Freiwillige im frühen Pensionsalter für Einsätze gewinnen könne, mit der Maxime "Mitgestalten statt mithelfen". Damit plädiert sie für eine partizipative Grundhaltung: Kirchliche Angestellte entwickeln Angebote zusammen mit interessierten Frauen und Männern. "Es ist die Kirche, die auf Personen mit vielfältigen Erfahrungen und Ressourcen angewiesen ist – die sogenannt jungen Alten hingegen brauchen die Kirche vielleicht gar nicht", mahnt sie.

In vielen Kirchgemeinden werden heute gerontologische Erkenntnisse umgesetzt, wird mit neuen Methoden und Ansätzen und oft generationenübergreifend gearbeitet. Zum Beispiel in Kirchlindach: Die Kirchgemeinde hat ein Gemeinwesenprojekt initiiert und in Zusammenarbeit mit der politischen Gemeinde durchgeführt, bei dem überraschend viele Einwohner/innen aller Generationen in Teilprojekten kreative Ideen entwickelt und umgesetzt haben. Daraus ist laut Esther Enderli zweierlei zu lernen: Kirche tut gut daran, Kooperationen einzugehen und Verantwortung zu übernehmen, damit bringt sie ihre Kompetenzen ein und wird als Kirche sichtbar. Und: Wenn Leute sich mit ihren Vorschlägen ernst genommen fühlen, machen sie mit.

Neue Normen anstelle alter Vorurteile

Mit Sorgen beobachtet Esther Enderli die Tendenz, ältere Personen auf ein bestimmtes Verhalten und neue Normen zu verpflichten: Frauen und Männer in der nachberuflichen Lebensphase haben fit, aktiv, vielbeschäftigt, reiselustig und unabhängig zu sein – die schwierigen Seiten des Alterns werden häufig ausgeblendet. Folgerichtig sagt sie: "Das sogenannte Vierte Alter fordert Kirche und Kirchgemeinden praktisch, sozial und ethisch heraus."

Mit Kursen zum Beispiel im Rahmen der Weiterbildung für Pfarrer/innen und Sozial-diakonische Mitarbeiter/innen versucht sie aufzuklären und zu sensibilisieren: "Herausforderung 4. Alter" zum Beispiel räumt auf mit dem Vorurteil, nett zu sein reiche aus für die Begleitung hochaltriger Frauen und Männer, und macht bewusst, dass Weiterbildung und Fachwissen nötig sind.

Gestaltende Kraft am Puls der Bevölkerung

Jede neue Generation kommt mit neuen Interessen und Fragen in die nachberufliche Lebensphase. Wie kann kirchliche Altersarbeit à jour bleiben? Als eine unter anderen Möglichkeiten erwähnt Esther Enderli die WHO-Initiative "Altersfreundliche Gemeinden". "Kirchliche Angestellte bringen das erforderliche Knowhow mit, um zusammen mit der politischen Gemeinde zu analysieren, inwiefern die Gemeinde eine für alle Altersgruppen gute Lebensqualität bietet, wie diese zu erhalten und allenfalls zu verbessern ist." Damit wäre die Kirche am Puls der Bevölkerung und gleichzeitig eine ernst zu nehmende, mitgestaltende Kraft im Gemeinwesen.

Gerlind Martin