Die Bezirksreform oder die teilweise gelungene Quadratur des Kreises

Inhalte und Strukturen

Strukturen verhelfen Inhalten zum Blühen.

So sollen die kirchlichen Bezirke dazu beitragen, dass Inhalte, die die Kraft einer Kirchgemeinde übersteigen, in einem grösseren Gebiet bearbeitet werden können oder, wie es die Kirchenordnung im Art. 15 schreibt:

Aufgaben der Bezirkssynode sind insbesondere:

  • ein Bindeglied zwischen den einzelnen Kirchgemeinden im Bezirk zu sein,
  • das christliche Leben im Bezirk zu fördern und das Interesse an allen kirchlichen Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung in den Gemeinden wach zu halten.

Die kirchlichen Bezirke legten (Rückblick) das sehr unterschiedlich aus, wie ein Blick in die Jahresberichte des letzten Jahrzehnts zeigt. Aber immer war zu spüren: Die Struktur kommt nach dem Inhalt: Vorstandssitzungen finden dann statt, wenn etwas zu gestalten ist, Finanzmittel richten sich nach dem Bedarf.

Und so hat sich im Laufe der Zeit ein buntes Bild von unterschiedlichsten kirchlichen Bezirken herausgebildet: Die drei (vormals vier) Gemeinden, die den kirchlichen Bezirk Schwarzenburg bilden, haben zum Beispiel ein sehr aktives Bezirksleben entwickelt und eine Vielzahl gemeinsamer Aufgaben wahrgenommen (Bezirksfeste, AG Kirche und Landwirtschaft, Oeme Kommission, HP KUW u.v.a.m.). Der Bezirk Interlaken-Oberhasli desgleichen (z.B. Schuldenberatung). Andere dagegen funktionierten weitgehend in einem "Stand-by-Modus". Sie erhielten die Strukturen aufrecht, um bei Bedarf Aufgaben zu übernehmen.

Allerdings war gerade die Grösse der kirchlichen Bezirke zum Teil zu klein, so dass Kooperationen sinnvollerweise grossräumiger oder in ganz anderen Perimetern angegangen wurden, als die Bezirksgrenzen es zuliessen (z.B. Ehe-Partnerschafts- und Familienberatung Bern und Biel, Regionaler Naturpark Gantrisch, Zusammenarbeit Längenberg) oder dass die Bezirke nicht mit externen Partner zusammenarbeiten konnten, weil ihr Gebiet nicht demjenigen anderer Partner entsprach (z.B. Verein Biel-Seeland).

Der Kanton gestaltet sich neu

Ab dem Jahr 2003 begann der Kanton Bern, seine Strukturen zu überdenken. Stimmt die Anzahl der Amtsbezirke? Welche Aufgabe gehört auf welche Ebene? Wo sind die Zentren des Kantons?

Die Antworten führten zu einer Verwaltungsreform (mit weniger Amtsbezirken und weniger regionalen Zentren) und der Einführung von Regionalkonferenzen, also einer Art dritten Entscheidungsebene im politischen Prozess.

Wegen der kantonalen Verwaltungsreform gelangte der Kanton an die Kirche, mit dem Wunsch, die Synodewahlkreise den neuen Verwaltungseinheiten anzupassen, damit der Kanton die Synodewahlen weiterhin durch die Regierungsstatthalter begleiten könne.

Und weil die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn aufmerksam die unterschiedliche Entwicklung der Bezirke und der verschiedenen Perimeter beobachteten, fand der Kanton hier offene Türen: Der Synodalrat beschloss, die kirchliche Bezirksreform gebietsmässig möglichst den kantonalen Strukturen anzupassen. Dies nicht allein wegen den Synodewahlen, sondern weil es wenig Sinn machte, die politische Diskussion über die richtige Aufteilung der Verwaltungsgebiete auf kirchlicher Ebene zu wiederholen.

Der lange Prozess ...

Allerdings: So einfach ist das Leben nicht...

Zuerst die Inhalte, dann die Strukturen. Das war der Leitsatz des beginnenden Prozesses. Die Präsidienkonferenz 2007 widmete sich nur der Frage: Welche Aufgabe kann von welcher Ebene am Besten wahrgenommen werden. Die Ergebnisse waren überraschend. "Bezirk" und "regionale Kooperationen" waren die gesuchten Gefässe. "Kirchgemeinde" wurde nur noch vereinzelt genannt, hauptsächlich für Kinder- und Altersarbeit.

Mit diesem Auftrag, einer Stärkung und gleichzeitig Vergrösserung der kirchlichen Bezirke, machte sich die AG Bezirksreform ans Werk.

Hearings wurden veranstaltet, Perimeter gewälzt, Modelle entworfen.

Ein Jahr später, 2008, wurde ein Vorschlag, wieder an einer Präsidienkonferenz, vorgestellt - und nicht sehr goutiert.

"Viel zu wenig Aufgaben und Kompetenzen" tönte es aus ländlichen Kreisen. "Viel zu viel Vorgaben" hiess es aus den Agglomerationen. "Abschaffen der Bezirke" aus dem Seeland. "So nicht! Zurück auf Start" hiess es v.a. an der Präsidienkonferenz in Bern (vorgesehener Bezirk Bern-Mittelland).

Die Unterschiedlichkeit der Erwartungen war unübersehbar, die Aufbruchsstimmung wurde gebremst, von einer Verlagerung von Aufgaben auf die kirchlichen Bezirke war keine Rede mehr,

Die Arbeitsgruppe versuchte nun das schier Unmögliche: Alle Vorbehalte aufnehmen und dennoch eine Angleichung erreichen. Das war nur möglich durch die Wiederaufnahme des allerersten Grundsatzes: Zuerst die Inhalte, dann die Strukturen. Und weil die Kirchgemeinden vor Ort am Besten wissen, welche Aufgaben sinnvollerweise vor Ort und welche im Bezirk wahrgenommen werden sollten, erhielten die Bezirke viele Wahlmöglichkeiten. Dies sowohl bezüglich der Inhalte, wie auch der Strukturen: Die Bezirke legen selber fest, welche Aufgaben der Bezirk konkret übernehmen soll. Die Bezirke legen selber fest, ob sie eine Präsidienkonferenz wünschen oder lieber eine Bezirkssynode wollen.

Zwei Aufgaben aber haben alle kirchlichen Bezirke von der Synode, die die Reform im Sommer 2011 beschloss,  mit auf den Weg bekommen:

Die regionale Zusammenarbeit muss gefördert werden. Auf die eine oder andere Art. So, wie es im jeweiligen Gebiet am Besten funktioniert.

Zudem sind sie dafür verantwortlich, dass der Austausch mit den kantonalen Ebenen funktioniert und ihr Bezirk in der Kirchensynode vollzählig vertreten ist.

... und alles wird gut

Und so sind am Beginn des neuen Jahrzehnts in allen kirchlichen Bezirken Arbeitsgruppen am Werk, die sich entscheiden, was für die grossen neuen (Seeland, Bern-Mittelland-Nord, Bern-Mittelland-Süd), den leicht veränderten (Unteres Emmental, Thun, Frutigen-Niedersimmental) und die unveränderten Bezirke (Obersimmental, Interlaken-Oberhasli, Unteremmental, Oberaargau, Jura) für die Zukunft am Besten ist. Welche Aufgaben die Bezirke übernehmen sollen und welche Strukturen geeignet sind, diese Aufgaben zu erfüllen.

Damit die Landeskirchen und die Gemeinden auch in der Zukunft immer wieder geeignet auf Herausforderungen auf verschiedensten Ebenen gute Antwort finden. Manche Antworten werden lokal sein, andere regional. Und die letzteren werden in einer Zeit, in der die Vernetzung unterschiedlichster Lebenszusammenhänge grösser und grösser wird, zunehmen.

Ralph Marthaler